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Restaurant Kramer in Berlin-Neukölln von Thilo Reich – Projekte

Der erste Eindruck? Typisch Berlin! Die Räume des Restaurants Kramer im Stadtteil Neukölln sind dunkel gehalten, es dominieren Schwarz und Grau, kantige Möbel und viel Metall. So könnte auch ein Club aussehen. Wie viel Berlin aber tatsächlich in der Innenarchitektur steckt, offenbart sich erst auf den zweiten oder dritten Blick. Denn der Architekt und Designer Thilo Reich hat einen guten Teil der Inneneinrichtung des Restaurants aus gebrauchten Materialien und Möbeln gestaltet, und das meiste davon kommt aus Berlin. So bestehen die Theken im Restaurantbereich aus ehemaligen Gehwegplatten und die Wände sind teilweise mit alten Industriefliesen verkleidet, wie man sie aus Berliner Hinterhöfen kennt.
Fundstücke mit Geschichte
„Die Materialien stammen oft von umzubauenden Bestandsgebäuden“, sagt Thilo Reich. „Ich halte die Augen offen, wenn in der Stadt etwas umgebaut wird – da findet sich einiges Spannendes.“ Das Restaurant befindet sich an einer Straßenecke, im Ladengeschäft eines Altbaus, und wird von dem Namensgeber Fabian Kramer geführt. Das Konzept: Die meisten Gerichte werden direkt auf dem offenen Feuer zubereitet. Entsprechend bilden eine offene Feuerstelle und ein großer Grill den Mittelpunkt des Lokals.
Klare Ästhetik
Mit bereits Gebrauchtem zu bauen und einzurichten, ist ganz auf der Höhe des Zeitgeists. Dennoch unterscheidet sich das Restaurant Kramer von anderen Re-Use-Projekten, weil es nicht den Secondhand-Look feiert. Das Interieur sieht weder selbst gebastelt noch bunt zusammengewürfelt aus. Im Gegenteil: Es hat etwas Glattes, Präzises an sich, das einen kühlen Kontrast bildet zum offenen Feuer. Diese Ästhetik verdankt sich der Sorgfalt, mit der Thilo Reich die gefundenen Materialien bearbeitet hat. Die Gehwegplatten werden geschnitten und poliert, bis das Terrazzomuster schön hervortritt, und dann exakt zusammengefügt. Ebenso die Betonformsteine, auch bekannt als „Knochen“: Fein säuberlich geschliffen, bilden sie jetzt den Tresen im Barbereich. Die Tischplatten bestehen aus Parkettstücken, die einheitlich dunkel gebeizt sind.
Gestalten mit Patina
Für die Türrahmen und Barfronten hat der Berliner Sperrholz upgecycelt und ebenfalls eingefärbt. Als Stühle und Barhocker fungiert ausgemustertes Schulmobiliar aus Tschechien. Die Beine hat Reich jeweils auf die richtige Höhe verlängern lassen. „Die elegante Integration alltäglicher Materialien lenkt die Aufmerksamkeit auf die oft übersehene Schönheit ihrer Muster und Strukturen und enthüllt verborgene Geschichten von Produktion, Handwerkskunst und Kultur, die in ihnen stecken“, sagt der Architekt. Bereits Gebrauchtes zu verwenden, hat allerdings auch seinen Preis: „Es ist natürlich ein Mehraufwand, die Elemente zu reinigen oder von altem Mörtel zu befreien – Arbeit, die keiner mehr machen möchte, da neue Produkte oft günstiger sind“, so Thilo Reich weiter. „Aber der Mehrwert zeigt sich dann später in der gleichmäßig abgenutzten Optik, Haptik und Patina.“
Material mit Identität
Den Blick für die Qualitäten der alltäglichen Materialien hat Thilo Reich auch durch seine gestalterischen und künstlerischen Arbeiten geschärft. So verarbeitet der Architekt alte Steine und Platten zu Möbelstücken weiter. Kürzlich hat er etwa die Tischserie The Undercurrents auf der Messe Collectible in Brüssel gezeigt. Bei der Vienna Design Week im vergangenen Jahr wiederum waren Objekte aus der Serie Double T zu sehen, hergestellt aus geschnittenen und neu zusammengesetzten Betonformsteinen. Hinter all diesen Projekten steht für Reich das Prinzip: „Material mit Identität behält immer seinen Wert“.
Hommage an das Gebäude
Ein Großteil der Materialien im Restaurant Kramer sei so verbaut, dass sie in einem dritten Zyklus wiederverwertet werden könnten. Reich hat aber auch die Geschichte des Neuköllner Altbaus selbst sprechen lassen, mit zwei Glasreliefs aus seiner Serie Temporal Imprint, die die Gasträume des Kramer schmücken. Dafür legt er jeweils einen kreisrunden Wandausschnitt frei bis auf das tragende Ziegelmauerwerk und formt das Relief der Ziegel und Fugen mit Silikon ab. Daraus stellt er eine Gussform her, in die schließlich das Glas gegossen wird. Den so entstandenen gläsernen Wandabdruck hängt Reich direkt über den ursprünglichen Ausschnitt – wie eine verblassende Erinnerung, die das Vergangene überlagert.