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Zirkuläres Büro-Interieur im belgischen Leuven von tweestroom – Projekte

Mit dem Beginn der industriellen Produktion von Konservendosen Ende des 19. Jahrhunderts eröffnete auch die erste Fabrik für sterilisierte Lebensmittel im belgischen Leuven, 30 Kilometer östlich von Brüssel. Ihr Gründer Edmond Thumas benannte das Unternehmen nach seiner Frau – und machte die Dosen von Marie Thumas zu den beliebtesten in Belgien. Im Laufe des 20. Jahrhunderts änderten sich die Konsumgewohnheiten. Die Verbraucher*innen bevorzugten wieder frische, unverarbeitete Lebensmittel. 1977 wurde die Produktion eingestellt. Zurück blieben ein weitläufiges, stillgelegtes Industriegelände und die Frage, was aus den Hallen mit 200 Metern Fassade sowie den historischen Büro- und Verwaltungsgebäuden werden sollte. Wie bei so vielen schlafenden Industrierelikten sind es auch in Leuven die Kreativen, die das Quartier derzeit revitalisieren und die Gebäude am Leben erhalten.
Vom Lost Place zum Workplace
Zu ihnen gehört tweestroom, ein ortsansässiges Architekturbüro, gegründet von Katrien Delespaul. Sie hat sich auf zirkuläre Umbauprojekte spezialisiert – und verfolgte bei der Gestaltung der Arbeitsumgebung für sich und ihr Team eine nachhaltige Mission. Die Architektin war sofort fasziniert vom Charakter der Räume mit ihren freigelegten Ziegeln, dem rohen Beton und der abblätternden Farbe. Die großen Fenster geben den Blick auf die Stadt frei und durchfluten die vier Zimmer mit Tageslicht. Für Katrien Delespaul war sofort klar, dass sie diese Atmosphäre erhalten und mit minimalen Eingriffen aus dem Lost Place einen Workplace machen wollte. Dazu verwendete sie gebrauchte Materialien und Bauelemente direkt aus dem Gebäude. Außerdem suchte sie nach Recyclingmaterialien, die in Kombination mit Textilien und Holz in den alten Hallen ein zweites Leben beginnen konnten. Delespaul dachte dabei an die Zukunft: „Wir machen auch nicht-permanente Elemente flexibel nutzbar, um zukünftige Veränderungen zu ermöglichen.“
Wohnzimmerqualitäten
Bei der Gestaltung orientierte sich die Architektin nicht nur an einer bürotypischen Funktionsaufteilung, sondern integrierte auch soziale und kommunikative Zonen. Neben Arbeits- und Besprechungsräumen sowie einer Küche verfügt das Studio über eine gemütliche Lounge. „Im Gegensatz zu vielen konventionellen Bürogebäuden ist unser Office ein inspirierender Ort. Der wunderbare Blick über die Stadt macht den Kopf frei und die rohen Materialien bringen uns zurück zum Wesentlichen – sowohl in unserer Arbeit als auch im Leben“, sagt Delespaul. Durch die vielen unterschiedlichen Atmosphären in den Räumen gibt es trotz des überschaubaren Grundrisses für jede Aufgabe einen passenden Platz: für die stille Reflexion ebenso wie für den Austausch im Team oder die Arbeit am Laptop.
Konferenz im Kokon
Für die klassische Schreibtischarbeit bietet sich der bewusst schlicht und funktional gehaltene Co-Working-Bereich mit sichtbarer Technik, unter der Decke laufenden Rohren und nackten Betonwänden an. Die Arbeitsflächen wurden zentral um eine bestehende Ziegelwand positioniert, die durch eine Auflage aus Marmor auch die Funktion eines trennenden Tresens erfüllt. Der Besprechungsraum ist eine atmosphärische Antithese. Abgesetzt durch ein Podest aus Kiefernholz, das aus einem stillgelegten Bereich der ehemaligen Dosenfabrik stammt, und akustisch abgeschirmt durch rauchgrau getöntes Glas, wirkt er wie ein gemütlicher Kokon. Im Zentrum des Raums steht ein runder Besprechungstisch, der von tweestroom entworfen und aus gebrauchtem Holz gefertigt wurde. Seine breiten Kanten sind mit Aluminiumstreifen verkleidet und korrespondieren so materialtechnisch mit den schlanken Metallstühlen von Muller Van Severen, die Delespaul als einige der wenigen neuen Möbel ausgewählt hat.
Geschichten zum Teilen
Das Sofa im Wohnzimmer, die Edelstahlküche, die Patchwork-Vorhänge oder auch die hölzernen Akustikpaneele sind dagegen Gebrauchtwaren. Die Details mit Geschichte und Patina laden die Räume mit viel Atmosphäre auf und bilden einen Gegenpol zu grauem Beton und kühler Industriekultur. „Die eklektische Ästhetik, die sich aus der Kombination ergibt, wie bei der neuen Aluminiumtür mit einem im Gebäude gefundenen Griff, wäre mit ausschließlich neuen Materialien nicht möglich gewesen“, resümiert Delespaul. Für sie ist das Vorhandene die größte und freudvollste Inspiration. „Durch die Art unserer Renovierung erzählen wir eine Geschichte, die andere dazu anregt, ihre eigenen Geschichten zu teilen. So entsteht ein Ort der Begegnung und Verbindung, der Freude und Selbstreflexion – ganz natürlich.“