Frühlingshafte Wohnideen

Christian Brändle vom Museum für Gestaltung Zürich im Gespräch – Menschen

Christian Brändle vom Museum für Gestaltung Zürich im Gespräch – Menschen

Christian Brändle (Jahrgang 1969) ist Direktor des Museums für Gestaltung in Zürich, das sich über drei städtische Standorte erstreckt. Damit ist er Herr über 580.000 Exponate aus Industriedesign, Grafik, Kunstgewerbe und Plakat. Es ist eine der größten und ältesten Sammlungen weltweit, die 2025 das 150-jährige Jubiläum feiert. Wir fragen nach: Was ist eigentlich Swissness? Was macht gutes Design aus und was bedeutet Miniaturisierung?

Sammeln heißt nein sagen, sagten Sie einmal. Was meinten Sie damit?
Der Punkt ist: Mit jedem Objekt, mit jedem Plakat, das wir aufnehmen, machen wir ein Versprechen für die Ewigkeit. Es aufzunehmen, ist sehr viel einfacher, als es wieder loszuwerden. Wir sind ja wie alle seriösen Museen Teil des International Council of Museums (ICOM) der UNESCO. Als Mitglied bekennt man sich zu dessen Ethik-Code, der besagt, dass man ein Objekt gegebenenfalls nicht einfach verkaufen oder in die Tonne schmeißen kann. Sondern man muss nachweisen, zumindest versucht zu haben, ein anderes Museum zu finden, das dieses Objekt aufnimmt. Wir haben zum Beispiel eine Sammlung von Waschmaschinen und Kühlschränken, die damals mit Gründung der Industriedesignsammlung angeschafft wurden. Das war, zumindest in diesem Umfang, ein Fehler. Punkt. Für die Forschung sind sie wenig relevant und sehen will die auch niemand. Es ist also eine Verschwendung von Lagerraum, die anderen Objekten den Platz wegnimmt. Deswegen heißt klug zu sammeln, nein zu sagen.

Was planen Sie zum Jubiläumsjahr?
Mit dem Opening am 10. April haben wir erstmals Teile des Hauses auch für das Publikum zugänglich gemacht. Es wird das ganze Jahr über Veranstaltungen geben. Zum Beispiel ist die „Swiss Design Collection“ eine neue Dauerausstellung und die größte Designsammlung der Schweiz. Ende August beginnt eine Ausstellung mit dem Titel „Museum of the Future“ – ein Versuch, auf digitalem Wege Dinge auszustellen, die man eigentlich gar nicht zeigen kann, zum Beispiel das Innere eines Uhrwerks. Wie will man das angesichts seines Maßstabs ausstellen?

Wer sucht die Objekte für die Ausstellungen aus?
Das machen unsere Kuratorinnen, insgesamt vier Frauen, die für die Fachgebiete Design und Kunsthandwerk, Plakat und Grafik recherchieren. Der Bereich Grafik ist in der Schweiz extrem wichtig: Typografie, Logodesign, Schriftgestaltung und Corporate Design.

Wie bemisst man den Wert eines Designexponats? Es sind doch wir, die den Dingen ihren Wert geben. Auch in der Gegenwartskunst.
In der Kunstwelt gibt es einen völlig abgedrehten monetären Wert, das hat sich ein bisschen pervertiert. Für mich misst sich der Wert eines Designobjekts weniger monetär, sondern daran: Wie viele mögliche Andockungspunkte besitzt ein Objekt? Welche Stücke können miteinander in eine Beziehung treten oder Brücken schlagen?

Sich also miteinander in einen neuen Kontext setzen lassen?
Genau. Das macht ein Objekt für uns wertvoll. Wenn es in verschiedene Storylines passt und Teil einer neuen Erzählung wird.

Das weist über die funktionellen oder ästhetischen Werte eines Designobjekts hinaus.
Diese Parameter sind ja gesetzt. Design besteht vereinfacht aus einem Engineering-Funktionalitäts-Aspekt und aus einem Styling-Ästhetik-Aspekt. Wenn beides konsistent umgesetzt ist, ist es ein guter Entwurf. 

Die Abteilung Industriedesign ist der kleinste Teil der Sammlung, richtig?
Ja, mit etwa 30.000 Exponaten.

Wo liegen hier die Schwerpunkte?
Aus pragmatischen Gründen suchen wir Objekte mit Anknüpfungspunkten an die Schweiz, an einen hiesigen Produzenten oder Designer. Oder das Objekt stammt aus dem Ausland, ist aber immens wichtig für die Entwicklung des Schweizer Designs. Wir haben viele Avantgarde-Objekte und Prototypen.

Wie passt der berühmte Kartoffelschneider Rex von Zena AG da hinein?
Der Rex ist schon vom Namen her der König und mit Abstand der beste Sparschäler. Der liegt gut in der Hand. Er gleitet da rüber mit dieser kippbaren Klinge und frisst sich in die komplexe Topographie einer Kartoffel.

Das heißt, auch Sie verwenden Rex in der Küche?
Ja, sicher. Alle in der Schweiz tun das. Er kostet ja auch fast nichts, nur rund 2,50 Euro. Das ist ein sehr schönes Beispiel für Schweizer Design, aus mehreren Gründen. Darum pushen wir ihn im Museum ein bisschen als Ikone. Erstens geht es ums Material: Aluminium. Die Schweiz hat ja kaum Rohstoffe, daher war sie immer bestrebt, andere Wege zu finden, die Energie der Wasserkraft zu nutzen. Aluminium frisst viel Energie, bis es produziert ist. So wurde Aluminium wichtig. Das andere zentrale Thema ist die Miniaturisierung. Die Schweiz hat früh gelernt, mit minimalem Material, das wir einkaufen mussten, einen hohen Mehrwert herzustellen, wie zum Beispiel Zahnrädchen für die Uhrenindustrie. Dabei wird zwei Wochen lang ganz wenig Metall bearbeitet und so entsteht der Mehrwert primär über die Arbeit, nicht über das Material. Das hat Dinge begünstigt wie das Schweizer Sackmesser, auch ein schönes Beispiel. Oder die Schweizer Druck-Kunst. Wir waren schon ab 1750 in der Lage, ein Zahnrädchen für die Uhren-Industrie herzustellen, das über ein Jahr hinweg präzise läuft. Und ebenso, sogenannte Typen zu fräsen, also Buchstaben für den Hochdruck, im Negativ. Aus denen hat sich die Metallbearbeitung entwickelt – auf höchstem Niveau, mit ganz wenig Material. Das prägt das Schweizer Design und führte dazu, dass sich die Druckkultur entwickeln konnte und auch die Lithographie, eine ursprünglich deutsche Erfindung, die maßgeblich in der Schweiz vorangetrieben wurde. Das führt dazu, dass gute Grafiker bis heute häufig aus der Schweiz kommen.

Genauigkeit, Präzision, Transfer-Können. Das alles bezeichnet also der Begriff Swissness?
Eine weitere Tugend, die ich mit Schweizer Design verknüpfe, ist auf alle Fälle diese Materialgerechtigkeit. Dass man versucht, möglichst wenig Material einzusetzen. Und im Vergleich zu Frankreich machen wir ja möglichst wenig Klimbim. Also möglichst wenig Show, wo keine Show gefragt ist. Wir sind eher zurückhaltend und knäckebrotmäßig auf die Essenz reduziert.

Knäckebrotmäßig?
Etwas langweilig vielleicht, ein bisschen spaßfrei, dafür dauerhaft. Und wirklich gut. Und den Qualitätsfimmel, den muss man sich auch erst mal leisten können. Das Produkt ist dann am Ende wirklich teurer, aber halt auch gut.

Sie bauen derzeit ein E-Museum auf. Was ist darunter zu verstehen?
Das E-Museum ist die digitale Repräsentanz unserer Sammlung. Aktuell stehen schon 126.000 Objekte online und pro Jahr kommen etwa 4.000 neue dazu. Wir stellen auch die Fonts, die Schriften, online. Auch einige, von denen wir nur die Entwürfe haben. Die Africain oder Haettenschweiler, bei der zum Beispiel die kleinen Buchstaben fehlen. Mit Studierenden der ZHdK haben wir diesen Font entsprechend digital komplettiert.

Es geht also um höhere Reichweiten und darum, auf digitalem Wege neue Zielgruppen und Generationen zu erreichen?
„Publish or perish“ heißt es doch: Publiziere oder du verschwindest. Objekte, die nicht online sind, existieren sozusagen nicht. Ja, es geht darum, dass man die Sammlungen sichtbar macht.

Gibt es noch weitere Jubiläumsprojekte in diesem Jahr?
Ja, eine Ausstellung über unsere eigene Plakatgeschichte: Da wir in 150 Jahren zu rund 1.200 Ausstellungen ein eigenes Plakat gemacht haben, ist es quasi unser Fetisch. Plakate erzählen von den gestalterischen Trends der jeweiligen Tage. Das ist das Tolle an diesem Medium: Es wird gestaltet, hängt dann drei Wochen, bis ein neues Plakat aufgekleistert wird, die nächste Schicht also. Es ist kurzlebig und kann viel agiler auf Strömungen reagieren. Es ist ein ungeheuer präziser Seismograph seiner Zeit. Und diese neue Ausstellung reflektiert all das.

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