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Wie nachhaltig sind farbige Möbel? – Stories

Farben sind Multitalente in der Designbranche. Sie prägen Interiors und Möbel. Herstellern dienen sie als kraftvolles Marketinginstrument zur Ansprache von Zielgruppen und zur Definition von Neuheiten: Kaum kürt ein Forecast-Institut die Trendfarbe des Jahres, reagieren Unternehmen mit Produkten im passenden Ton. Dieses Jahr ist ein helles Braun angesagt. „Muss man gleich alles mokka-fizieren?“, fragt Martin Beeh, Geschäftsführer von Materials Cologne, einer Plattform für Design und Innovation. Eine berechtigte Frage. Besonders im Hinblick auf die Nachhaltigkeit von Möbeln. Denn oft rückt da die Rolle der Farben in den Hintergrund. Doch wie verhalten sich farbige Möbel bezüglich ihrer Umweltverträglichkeit? Welche Farben sind heute noch zeitgemäß, wenn es um Zirkularität geht? Lassen sich Farbpigmente sauber aus Werkstoffen extrahieren – oder stehen sie einer Kreislaufwirtschaft entgegen?
Schöne bunte Wohnwelt
In der Möbelproduktion werden derzeit schätzungsweise 500 bis 1.100 Farben verwendet. Durch individuelle Farbmischungen, Glanzgrade und andere Effekte wären theoretisch jedoch Millionen von Varianten möglich. „Der Markt wünscht Farben und möglichst viele, damit unterschiedlichste Zielgruppen angesprochen werden können“, sagt Nina Ruthe, Materialspezialistin und Inhaberin des Kölner Designstudios Niruk. Erst durch die Chemieindustrie des 19. und 20. Jahrhunderts wurden ein solches Spektrum und die Demokratisierung farbiger Möbel möglich. Durch synthetische Farben, Kunststoffe und neue Lackiertechniken konnten Farben haltbar und Möbel massentauglich produziert werden. „Royal Blue ist ein Ton, der aus gutem Grund so heißt. Er wurde früher sehr aufwendig aus der Pflanze Färberwaid hergestellt, sodass sich nur Adelige blaue Produkte und Kleidung leisten konnten“, berichtet Martin Beeh, „Der Erfolg des Chemieunternehmens BASF etwa basierte vor allem auf der Erfindung des synthetischen Stoffes Indigo Pure (1897), als Ersatz zum teuren, pflanzenbasierten Indigo.“
Ästhetik und Funktion
Ansprüche an technische Qualitäten von Farben in der Möbelbranche sind hoch: Sie müssen nicht nur ästhetischen Maßstäben genügen, sondern auch zahlreiche funktionale Eigenschaften erfüllen. Da ist es kein Wunder, dass so manche Farben und Farbbeschichtungen durch ihre Herstellung oder ihre chemische Zusammensetzung das Recyceln von Möbeln problematisch machen. Seien es schwermetallhaltige Pigmente, bestimmte Hochglanzfarben und kunststoffbeschichtete Farben, PU-Lacke (Polyurethan), Melaminharz-Beschichtungen, PVC-Beschichtungen oder auch ölbasierte Lacke mit flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs). Dunkle, metallische oder künstlich intensive Farbtöne sind per se schwierig, da sie problematische Pigmente oder Zusätze enthalten.
Trend zur Trennung
Die Forschung entwickelt hier rasant weiter: Farblackfolien können inzwischen mechanisch durch das Einblasen von Luft, Schüttelverfahren und so weiter von Spanholzplatten abgelöst und in ihre Bestandteile zerlegt werden. „Selbst duroplastisch aushärtende Bindemittel, wie Urea Formaldehyd oder Phenol Formaldehyd, lassen sich über Hitze von den Spänen trennen, ebenso Paraffine oder Ammoniumsalze. Manchmal sind auch Metallpartikel in den Spanplatten enthalten. Auch diese lassen sich heute mechanisch aussortieren“, erklärt Beeh. In einer Studie untersuchte er gerade Ästhetik und zirkuläre Werkstoffe von Lkw, was tendenziell übertragbar ist auf die Interior-Branche. Es zeigte sich, dass insbesondere hochglänzende, changierende Lackoberflächen, die sich nur über mehrere Schichten unterschiedlicher Trägerstoffe erzeugen lassen, ein großes Problem für die Zirkularität sind. Haushaltsgeräte beispielsweise haben ähnliche Beschichtungen. „Durch innovative mechanische Verfahren lassen sich zwar sämtliche Stoffe sauber voneinander trennen, aber der Aufwand ist zu groß“, so Beeh.
Grau in Grau
Wie lassen sich die farbigen Möbel also wieder in den Kreislauf bringen? Der norwegische Outdoor-Möbelhersteller Vestre bietet langlebige Farb-Pulverbeschichtungen für seine Produkte aus recyceltem Stahl und FSC-zertifiziertem Holz an, die frei von Lösungsmitteln und VOCs sind. Zahlreiche Hersteller setzen bereits auf zirkuläre Werkstoffe. Was aber ist mit den zugesetzten Farben, ihren Pigmenten und Bindemitteln? Während bei Holzmöbeln wasserbasierte, lösungsmittelfreie Farben immer mehr Anklang finden, sieht es bei recycelten Kunststoffen noch anders aus: Zwar ist es möglich, diese mit naturbasierten Farben einzufärben. Jedoch müssen Aspekte wie Haftung, Beständigkeit und Umweltfreundlichkeit noch besser in Einklang gebracht werden. Der niederländische Hersteller Vepa hat mit Felt eine Stuhl-Kollektion auf den Markt gebracht, deren Sitzschale zu 100 Prozent aus recycelten Post-Consumer-PET-Flaschen besteht – eine hundertprozentig zirkuläre Lösung. Allerdings nur in den Farben Anthrazit und Hellgrau, den ungefärbten Tönen des Ausgangsmaterials. Inzwischen sind acht Varianten – von Currygelb, über Blassgrün, Azurblau und Altrosa bis hin zu verschiedenen Brauntönen – hinzugekommen. Die CO2-Bilanz ist dann nicht mehr so positiv, da zusätzlich Pigmente beigemischt werden müssen. Als der Möbelhersteller Vitra den Tip Ton Chair von Barber Osgerby im Jahr 2021 erstmals in einer Version aus Kunststoff aus recyceltem Haushaltabfall auf den Markt brachte, gab es ihn ebenfalls ganz bewusst nur in dem Ton Dunkelgrau. Heute präsentiert Vitra eine erweiterte Palette – durch künstliche Einfärbung.
Sortenreine Trennung?
Wie das Recycling dieser farbigen Produkte funktionieren soll, erfährt man nicht. Idealerweise werden die hochwertigen Möbel nie recycelt, wechseln höchstens ihre Besitzer*innen. Was aber, wenn doch? Sortenreine Trennung nach Farben ist für die industrielle Produktion aufwendig. Im Manufakturkontext hingegen, wie es der „Verlag der Dinge“ in Essen handhabt, ist dies eine Option. Die einfachere Möglichkeit wäre es, die farbigen Möbel aus Post-Consumer-Rezyklat quasi wieder in einen Topf zu werfen – dann ergäbe sich eine graue Masse, die wiederum künstlich eingefärbt werden müsste, was sie weniger nachhaltig macht. Die entscheidende Frage lautet: Wie viel CO2 ist für die Werkstoff- und Farbtrennung nötig?
Weg von Bling-Bling
Die grundlegende Haltung bezüglich der Gestaltung und Entwicklung farbiger Produkte zu ändern, könnte eine Lösung sein: Fragen nach Suffizienz werden in den Vordergrund rücken. „Was brauchen wir wirklich? Ist ein Backofen mit irisierend schwarzer Oberfläche wirklich nötig? Man wird sich von einer Bling-Bling-Ästhetik, von High-Gloss-, Metallic- und Chromoberflächen verabschieden müssen. Die Zukunft gehört einer ruhigeren Ästhetik!“, sagt Martin Beeh. Auch Designerin Nina Ruthe setzt auf Differenzierung: „Grundsätzlich bin ich für die Verarbeitung purer Materialien. Man sollte künftig genauer abwägen: Gestaltet man ein langfristiges Produkt, wie einen Tisch, dann macht Farblack Sinn. Bei kurzfristigeren, stark beanspruchten Produkten, die sich schneller abnutzen oder ausgetauscht werden müssen, sollte man möglichst auf Lacke und Farben verzichten und lieber mit der Gestaltung von Texturen arbeiten.“